Hintergrund
Das Inkrafttreten der Massenzustromrichtlinie, der geeinte politische Wille in der EU und in Deutschland fliehenden Menschen aus der Ukraine unbürokratisch helfen zu wollen, sowie die vor allem auch zivil geprägte Hilfsbereitschaft, ist zu begrüßen.
Dieser humanitär ausgerichtete Paradigmenwechsel ist jedoch limitiert: Der Entwurf der Kommission hatte ursprünglich die unbürokratische Aufnahme für alle Geflüchteten aus der Ukraine in der EU vorgesehen. Der letztendliche Ratsbeschluss zur humanitären Aufnahme ohne Asylverfahren schließt jedoch einige nicht-ukrainische Kriegsflüchtlinge (z.B. Drittstaatler:innen mit Visum zum Studium) aus.
An ukrainischen Hochschulen und Universitäten waren zur Zeit des russischen Angriffskriegs um die 70.000 internationale Student:innen eingeschrieben. Schätzungen zufolge sind circa 3.000 von ihnen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Viele der geflüchteten internationalen Student:innen sind BIPoC ohne ukrainische Staatsbürgerschaft.
In der Praxis zeigten sich unmittelbar Konsequenzen und gravierende Steigerungen einer solchen rechtlich verankerten Andersbehandlung von Kriegsflüchtlingen, nämlich in Form von Diskriminierung aufgrund von äußerer Erscheinung, ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität. Dieser Zusammenhang und die rassistischen Realitäten, mit denen BIPoC alltäglich konfrontiert sind, werden durch zahlreiche Berichte von rassistischer Gewalt und diskriminierender Ungleichbehandlung beim EU- und Binnen-Grenzübertritt, bei der Weiterreise und in Deutschland verdeutlicht.
„Wir sind vor demselben Krieg geflohen. Wir haben dieselbe Entfernung überwunden. Auch wir haben unser Leben hinter uns gelassen.“[1]
Obgleich sie durch den Krieg ebenso traumatisiert sind, ihre Träume sowie Möglichkeiten zerstört wurden und sie ihre Perspektive in der Ukraine verloren haben, wird den geflüchteten internationalen Student:innen bislang die Fortsetzung ihres Studiums in Deutschland schwer bis unmöglich gemacht. Das Gefühl einer Zwei-Klassen-Behandlung von Geflüchteten wird seither vielfach kontrovers diskutiert – nicht nur in Bezug auf die genannte Ungleichbehandlung, sondern auch im Vergleich mit Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern.
Gebot der Gleichbehandlung auf der einen und proklamierter Fachkräftemangel auf der anderen Seite
Dem Bild eines solchen sozialen Missverhältnisses muss mit Verweis auf das Gebot der Gleichbehandlung allein aus humanitärem Grund, aber auch mit Blick auf eine gelingende Geflüchteten- und Integrationspolitik für alle unmittelbar als gesamtgesellschaftliche Verantwortung begegnet werden.
Auch mit Blick auf den Fachkräftemangel scheint es doch paradox, dass den geflüchteten internationalen Student:innen die Möglichkeit verwehrt wird, ihre Ausbildung innerhalb Deutschlands fortsetzen zu können.
Gleichbehandlung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine: Sichere Perspektive zur Fortsetzung ihres Studiums für internationale Student:innen
Die geflüchteten internationalen Student:innen aus der Ukraine brauchen bundeseinheitliche Klarheit und eine langfristige Perspektive, die ihnen die Fortsetzung ihres Studiums in Deutschland realistisch ermöglicht. Wir befürworten deswegen jegliche unterstützende Maßnahmen, wie die Herstellung von langfristiger Aufenthaltssicherheit, der auf die Umstände angepasste Zugang zu Hochschulen und weitere fördernde Maßnahmen für geflüchtete internationale Studierende aus der Ukraine.[2]
Darüber hinaus fordern wir gleichwertigen Schutz für alle Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sowie einen pragmatischen, unbürokratischen Umgang für alle Schutzbedürftigen aus der Ukraine. Der Schutzbedarf darf nicht von Staatsangehörigkeit abhängig gemacht werden. Die rassistische (Re-)Traumatisierung von geflüchteten Menschen muss mit konkreten politischen wie sozialen Maßnahmen verhindert werden.
Diakonie Deutschland, Sophie Koch, 19.07.2022
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[1] Siehe Student Coalition For Equal Rights. Offener Brief für die Gleichbehandlung von geflüchteten internationalen Studierenden, unter: https://www.studentcoalitionforequalrights.org/de [aufgerufen am 18.07.22].
[2] Verschiedene Vertreter:innen von Menschenrechts- und Student:innenorganisationen haben bereits die Gleichbehandlung von geflüchteten internationalen Student:innen gefordert, Bedarfe verdeutlicht und Vorschläge für notwendige Praxiswege gemacht, wie zum Beispiel Selbstvertreter:innen in einem offenen Brief der Student Coalition For Equal Rights. Offener Brief für die Gleichbehandlung von geflüchteten internationalen Studierenden, unter: https://www.studentcoalitionforequalrights.org/de [aufgerufen am 18.07.22].